Foto: © Friederike Zimmermann | Bauwerk Schwarzwald
[In der Juni-Ausgabe des Kultur Joker erschien das Gespräch in gekürzter Form, lesen Sie hier das Interview in voller Länge.]
Hardy Happle, Architekt und Mitglied von „Bauwerk Schwarzwald“ im Gespräch
(Von Friederike Zimmermann)
Regionale Baukultur, Holzbau, Kulturlandschaft und Klimawandel… – aktuell sind diese Themen in aller Munde. Doch wie hängen sie zusammen? Was hat es damit auf sich? Um diesen Fragen zu begegnen wurde vor knapp drei Jahren mit Landesmitteln der Verein „Bauwerk Schwarzwald“ gegründet. Unter seinem Dach vereinigen sich zahlreiche Player aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um diese Felder zukunftsgerichtet zu bearbeiten.
Nun zieht der Verein Bilanz. Dazu befragte Friederike Zimmermann den Wolfacher Architekten Hardy Happle, selbst Mitglied des Vereins, der seit etlichen Jahren den historischen Liefersberger Hof bewohnt und sich intensiv mit der regionalen Baukultur befasst.
Zimmermann: Herr Happle, Sie sind Mitdenker und Mitbegründer des Vereins Bauwerk Schwarzwald, der im August 2020 aus der Taufe gehoben wurde. Was hat Sie damals dazu bewogen?
Happle: Ich war schon vorher in Kontakt mit der Arbeitsgruppe Siedlungsentwicklung des Naturpark Südschwarzwald und lernte dort den Geschäftsführer Roland Schöttle und das gesamte Team der Gestaltungskommission kennen. Damals wurde der Prozess noch in Richtung eines „Schwarzwald Instituts“ gelenkt. Zuvor hatten der Architekt Florian Rauch, die Professorin Kerstin Gothe und ich zusammen Professor Hans Jörg Küster – Landschaftswissenschaftler an der Uni Hannover mit Zweitwohnsitz in Grafenhausen – den Verein „Kultur Landschaft Schwarzwald“ gegründet, um die regionale Baukultur zu fördern und dafür Mittel generieren zu können. Aus solchen Initiativen heraus ist sozusagen „Bauwerk Schwarzwald“ entstanden – zur Sensibilisierung für die regionale Baukultur und deren Erhalt in Verbindung mit der Kulturlandschaft Schwarzwald. Ich wurde damals in die Gründungskommission berufen und erarbeitete zusammen mit Kerstin Gothe das Konzept im Bereich der Baukultur, während die Leiterin des Werkraums Bregenzer Wald Vorarlberg, Miriam Kathrein, das Konzept zum Bereich Handwerk verfasste.
Ich lebe seit etlichen Jahren in einem historischen Schwarzwaldhof. Der Liefersberger Hof war mein Lehrstück. Durch ihn und meine Profession hatte ich bereits viel Erfahrung zur regionalen Baukultur gesammelt. Zuvor hatte ich vom Schwarzwaldhof nur eine Idee wie sie jeder hat, nämlich das Ikonische – ein sich in die Landschaft duckender Riese mit herabgezogenem Dach. Doch alles, was den Schwarzwaldhof eigentlich ausmacht, habe ich gelernt von diesem Haus hier.
Zimmermann: Und was macht den Schwarzwaldhof aus?
Happle: Die energetische Überlegenheit, die Modularität des Aufbaus, die Standardisierung – das alles geht bei diesem Haus viel weiter als bei allen modernen Fertighäusern, die wir heute bauen. Schauen Sie sich zum Beispiel die Fenster an, wie diese aufgebaut und unterteilt sind. Jeder Hof im Tal verfügte im 17./18. Jahrhundert über die gleichen Fenster mit ihren unterschiedlich großen Unterteilungen. Da konnte man jede Scheibe passend machen, wie man es gerade brauchte. Und wenn sie kaputt war, konnte man sie immer noch in den kleinsten Abschnitt einsetzen. Die unglaublich fortschrittliche Idee dabei: Wenn wir heute ein Fertighaus standardisieren, ist jedes Detail gleich, ein Ready-Made. Beim historischen Schwarzwaldhaus ist nur die Außenform gleich, dazu gibt es einen Bausatz von Teilen und diese können in sich verschoben und passend gemacht werden – innerhalb dieser Ready-Made-Außenform. Das ist viel cleverer, als wenn jedes Einzelteil standardisiert wird.
Zimmermann: Jeder kennt ja die schwarzwald-spezifischen Eindachhöfe, aber gibt es auch eine typische zeitgenössische Schwarzwälder Baukultur? Bzw. was versteht man überhaupt unter der „Schwarzwälder Baukultur“?
Happle: Der Schwarzwaldhof ist ein planerischer Akt, zusammengesetzt aus verschiedenen Bauernhaustypen, die sich bewährt hatten: dem Fränkisch-Hohenloher Typ und dem Bodensee-Typ. Aus diesen beiden Bauernhaustypen wurde das jeweils Beste auf unglaublich intelligente Art zusammengefügt und in der Landschaft so angeordnet, dass man in Ausnutzung der natürlichen Prozesse immer möglichst viel Arbeitsersparnis hatte. Das ist auf allen Ebenen durchdacht. Damit handelt es sich hier um das „am meisten ausgeklügelte Landwirtschaftssystem der Welt“ (Prof. Küster). Und das setzt sich im Inneren des Hauses fort in der unglaublich materialsparenden, reparaturfreundlichen Art des Aufbaus. Dieses Ein-Gewerke-Haus, in dem alles aus dem Holz besteht, das im Wald vor der Haustüre wächst, braucht zwar am Anfang viel Sachverstand, dann aber kann die Bauersfamilie 400 Jahre lang ihr Haus mit eigener Muskelkraft erhalten und selbst reparieren. Selbst die Ausdehnung des Holzes ist miteinkalkuliert, um Bauteile miteinander zu verspannen usw.; das heißt, ich nutze natürliche Prozesse, die sowieso stattfinden und steuere sie intelligent, so dass sie für mich Sinn ergeben. Das ist das, was wir daraus lernen können und was ich tradieren möchte. Das ist für mich Schwarzwälder Baukultur.
Es geht also überhaupt nicht darum, dass ein modernes Haus im Schwarzwald so aussehen soll wie ein historisches Schwarzwaldhaus. Sondern lediglich darum, dass ein Neubau mit denselben Vorzügen arbeitet wie ein historischer Hof – und das sind diese sehr modernen Begriffe wie Standardisierung, Reparaturfreundlichkeit und Cradle-to-Cradle (Kreislaufwirtschaft).
Zimmermann: Sie sagen also, wenn jeder so bauen würde…
Happle: (lacht) …dann hätten wir alle Probleme gelöst. Das geht heute natürlich so nicht mehr. Was ich aber sagen will: Es ist nicht Sinn der Sache, Dinge zu reproduzieren, sondern sich der Ideen zu bemächtigen und sich von ihnen leiten zu lassen. Man kann das auch in moderne Bautechnik übersetzen: Was wir brauchen ist eine intelligente Low-Tech – das muss die Antwort auf heutiges Bauen sein. Was wir heute mit diesen Ökohäusern machen ist doch in fünfzehn Jahren hinfällig, das historische Schwarzwaldhaus hingegen ist so idealtypisch gelöst, dass wir uns genau von den hier umgesetzten Ideen leiten lassen müssen. Regionale Baukultur ist also überhaupt keine Frage des Erscheinungsbildes, sondern allein der Prämisse „Form-follows-Function“, alles bedingt sich gegenseitig. Die ikonische Form ist das Resultat der Funktion, damit es damals das Überleben ermöglichte; ein immer gleiches Bausystem aus 17 Bauteilen, je nach Lage adaptiert – ob oben auf dem Berg oder unten im Tal. Das ist in meinen Augen unglaublich fortschrittlich.
Was wir hingegen in Zeiten der Allverfügbarkeit von Energie gemacht haben: Wir haben immer mehr hinzugefügt. Viel cleverer ist es zu reduzieren. Wenn wir uns all diese Ideen mit Standardisierung, Modularität, Reparaturfreundlichkeit und Cradle-to-Cradle für morgen zur Aufgabe machen, dann haben wir die Schwarzwälder Baukultur adäquat umgesetzt. Damit haben wir unglaublich viele Fragen beantwortet. Natürlich nicht, indem wir das eins zu eins abkupfern, sondern in der intelligenten Reduktion, die auch schon die Überlebensdauer mitdenkt. Denn die Flexibilität durch die Vereinzelung der Bauteile und die Reparaturfreundlichkeit ist das, was jahrhundertelang den Bestand erhält. Das sollte unser Ansatz sein, wenn wir Dinge heute bauen oder neu erfinden. Das bedeutet aber auch, dass wir am Erscheinungsbild viel weniger gestalten können als noch ein Künstlerarchitekt, der hauptsächlich vom Erscheinungsbild ausgeht.
Zimmermann: Aber wer kennt denn dieses ausgeklügelte System überhaupt noch?
Happle: Das ist eine gute Frage. Zu wenige… Deshalb ist ja auch „Bauwerk Schwarzwald“ so wichtig. Denn hier haben wir ein Organ, um diese Dinge permanent ins Schaufenster zu stellen: Sei es mit der Architekturroute, mit Vorträgen, Veranstaltungen und der Information von kommunalen Entscheidern usw.; um diese Prämissen und Ideen, um die es hier geht, auch in die Öffentlichkeit zu tragen.
Zimmermann: Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Aufgaben von „Bauwerk Schwarzwald“?
Happle: Die Idee und Gründung von „Bauwerk Schwarzwald“ war ja etwas Außergewöhnliches, denn hier kamen plötzlich Vertreter von vormals konkurrierenden Vereinen und Initiativen zusammen an einen Tisch. Die regionale Baukultur zu fördern – das geht nur gemeinsam, Theorie und Praxis, Hand in Hand. Als die Schwarzwälder Baukultur vor 300 Jahren so erfolgreich war, waren Baumeister und Architekten noch ein Beruf. Dieses Teamwork, wie es auch in diesen alten Häusern steckt, müssen wir auf heute übertragen. Das entspricht der mittelalterlichen Bauhütte, darum ist auch der Name „Bauwerk Schwarzwald“ so passend, weil hier die verschiedenen Professionen, die Kopfarbeiter und Handarbeiter, die das Erbe verwalten und die es weiterentwickeln, die die Ideen haben und die die Werkzeuge dafür entwickeln – dass die alle an einem Tisch sitzen. Weil dieses Wissen, das in diesen Häusern und in dieser Landwirtschaft nur zusammen funktioniert, dieses Zusammenspiel von diesem vielen Detailwissen das ist, was es überhaupt erst möglich gemacht hat. Insofern ist „Bauwerk Schwarzwald“ auch die richtige Plattform, diese Art von Ideen zu erhalten, bewusst zu machen und weiterzuentwickeln. Das ist alles Wertschöpfung im Einklang. Dieses Zusammenspiel von Baukultur und Kulturlandschaft und Wertschöpfung ist eigentlich als „perpetuum mobile“ angelegt. Diese Ideen sind so genial, die können wir anwenden auf der ganzen Welt.
Zimmermann: Wo sehen Sie weitere Aufgabenfelder für den Verein, die sich vielleicht erst im Lauf der Zeit aufgetan haben?
Happle: Als Kompetenzzentrum diese Besonderheiten der Schwarzwälder Baukultur zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass sie umgesetzt werden. Die Low-Tech-Variante zu untersuchen und sie in der Ausbildung, in der Forschung zu verankern und schließlich in den politischen Raum zu den Entscheidern zu tragen.
Wir dürfen nicht müde werden, den Schwarzwald aus der Nostalgieschiene herauszuholen. Wir brauchen Schwarzwald 2.0, den Bollenhut brauchen wir nicht mehr. Stattdessen sollten wir mal die Geschichte erzählen, warum aus dem Schwarzwald all diese Tüftler kommen.
Zimmermann: Herr Happle, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!